Ein Angeklagter sitzt in einem Gerichtssaal und verdeckt sein Gesicht
Das volle Vorstrafenregister des Ex-NPD-Stadtrat Enrico B. war vor dem OLG-Urteil auch Thema im Gerichtssaal in Dresden. Er war bereits u.a. wegen Nötigung, Beleidigung, Diebstahl, Körperverletzung und Verwendung verbotener Kennzeichen verurteilt worden. Nun bekam er 2,5 Jahre Haftstrafe. (Archivbild) Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa Pool/Sebastian Kahnert

Oberlandesgericht Dresden Haft- und Bewährungsstrafen gegen Ex-Mitarbeiter des Neonazi-Verlags "Schelm"

29. April 2024, 10:40 Uhr

Innerhalb von rund zwei Jahren sollen Enrico B., Matthias B. und Annemarie K. Zehntausende antisemitische und rassistische Schriften verkauft haben. Die Bundesanwaltschaft sprach von einem schweren Unrecht, das die Angeklagten begangen haben. Nun wurde das Trio vor dem OLG Dresden zu Haft- und Bewährungsstrafen verurteilt.

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Das Oberlandesgericht Dresden (OLG) hat drei Ex-Mitarbeitende des rechtsextremen "Schelm"-Verlags zu Haft- und Bewährungsstrafen verurteilt. Das OLG sah es als erwiesen an, dass zwei Männer und eine Frau im Alter von 38 bis 41 Jahren jahrelang für einen Verlag volksverhetzende, antisemitische und rechtsextreme Schriften verbreitet und einer kriminellen Vereinigung angehört hatten.

Strafmaß und Schulden beim Staat

Der ehemalige NPD-Stadtrat in Leipzig, Enrico B., wurde zu zwei Jahren und sechs Monaten Gefängnisstrafe verurteilt. Die Mitangeklagten Matthias B. aus Sachsen und Annemarie K. aus Brandenburg bekamen Bewährungsstrafen: Er ein Jahr und zehn Monate, sie ein Jahr und sechs Monate. Nach Angaben eines MDR-Reporters nahmen die drei das Strafmaß regungslos hin.

Die drei hatten während des Prozesses Geständnisse abgelegt, was sich nach Angaben des Vorsitzenden Richters Hans Schlüter-Staats "positiv aufs Strafmaß" ausgewirkt habe. Matthias B. hatte den Ermittlern mit zusätzlichem Beweismaterial geholfen und befindet sich in einem Aussteigerprogramm, was das OLG als glaubhaft einstuft. Ohne diese Umstände hätte Matthias B. auch eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung erhalten.

Alle drei müssen ihre Gehälter, die sie als Angestellte des Neonazi-Verlags bezogen hatten, an den Staat zurückzahlen. Bei Enrico B. sind das gut 42.000 Euro, bei Matthias B. 41.000 Euro und bei Annemarie K. 5.000 Euro. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig.

Volksverhetzende Schriften verbreitet

Der Verlag "Der Schelm" bot laut Bundesanwaltschaft unter anderem eine unkommentierte Ausgabe von "Mein Kampf" von Adolf Hitler an, die der "Verkaufsschlager" des Verlags gewesen sein soll. Bei Produktionskosten von etwa drei Euro bot "Der Schelm" die volksverhetzende Schrift für rund 30 Euro an. Zwischen August 2018 und Dezember 2020 seien rund 46.500 Druckerzeugnisse mit einem Umsatz von mehr als 800.000 Euro verkauft worden. Dafür habe die Gruppe eine Lagerhalle in Bad Lausig angemietet. Pro Tag seien 40 Bestellungen verschickt worden.

Der Vorsitzende Richter Hans Schlüter-Staats sagte in der Urteilsbegründung, wenn Menschen zum Hass und zur Hetze angestachelt werden, werde "der Nährboden für furchtbare Gewalttaten" bereitet.

Ein Großteil der angebotenen Bücher seien demnach antisemitisch und verherrlichten die Zeit des Nationalsozialismus. Das Argument, bei den Werken handele es sich um "wissenschaftliche Quellentexte", lehnte das Gericht ab. Eine solcher Hinweis befand sich auf vielen der angebotenen Bücher. Vielmehr würde durch Vorworte aktiv Werbung für die Inhalte gemacht, so der Vorsitzende Richter. "Sie haben wie ein kleiner Amazon-Laden funktioniert, sagte Schlüter-Staats.

Sie haben wie ein kleiner Amazon-Laden funktioniert.

Hans Schlüter-Staats Vorsitzender Richter am OLG Dresden

Bei einer Durchsuchung im Dezember 2020 hatten die Behörden zudem weitere Druckerzeugnisse mit einem Verkaufswert von mehr als 900.000 Euro sichergestellt. Der damalige Verlagschef und bayerische Rechtsextremist Adrian Preißinger wird mit internationalem Haftbefehl gesucht. Er soll sich in Russland in der Nähe von Moskau aufhalten.

Paletten mit Kartons in einer Lagerhalle des LKA Sachsen
Das Bild zeigt die im Dezember 2020 beschlagnahmten Paletten mit Bücherkartons in einer Lagerhalle des LKA Sachsen. Insgesamt wurden mehr als 50.000 Bücher sichergestellt. (Archivbild) Bildrechte: LKA Sachsen

Bundesanwaltschaft hatte höhere Haftstrafen verlangt

Die Bundesanwaltschaft hatte für alle drei Angeklagten Freiheitsstrafen von 18 Monaten, 20 Monaten sowie zwei Jahren und acht Monaten verlangt. Matthias B. hielten die Bundesanwälte zugute, dass er maßgeblich zur Aufklärung beigetragen und ein umfassendes Geständnis abgelegt habe.

Auch Annemarie K. hatte ausgesagt. Aus Sicht der Bundesanwaltschaft distanzierte sie sich jedoch nicht glaubwürdig von ihrer rechtsextremen Einstellung. Der ehemalige NPD-Stadtrat in Leipzig, Enrico B., soll nach NDR-Recherchen für Lagerung und Versand der Bücher zuständig gewesen sein, zusammen mit seiner Freundin Annemarie K. Dem langjährigen NPD-Aktivisten Matthias B. soll laut Bundesanwaltschaft eine "herausgehobene Funktion" in der Vereinigung zugekommen sein.

Eine Angeklagte im Prozess um den rechtsextremistischen Verlag «Der Schelm» sitzt vor Beginn der Verhandlung im Saal des Oberlandesgerichts und verdeckt ihr Gesicht.
Annemarie K. hatte während des Prozesses ausgesagt. Sie ist die Freundin des Hauptbeschuldigten Enrico B. und bekam eine Bewährungsstrafe von 1,5 Jahren. (Archivbild) Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa Pool | Sebastian Kahnert

Angeklagte mit antisemitischer und rassistischer Weltsicht

Die Bundesanwaltschaft hielt den Angeklagten vor, sie hätten eine antisemitische Gesinnung und eine rassistisch geprägte Weltsicht. Zwar sei der flüchtige Rechtsextremist Adrian Preißinger der Verlagschef gewesen. Ohne die drei Angeklagten wäre der Vertrieb der volksverhetzenden Bücher laut Bundesanwaltschaft jedoch nicht möglich gewesen. Der Inhalt der Sendungen sei den Angeklagten bekannt gewesen.

Schweres Unrecht unter historischem Deckmantel begangen

Unter dem Deckmantel des historisch lustigen Narren "Schelm" haben die Angeklagten laut Bundesanwaltschaft schweres Unrecht begangen. Der Verlag sei ein führender Akteur bei der Verbreitung von Hate Speech in Deutschland gewesen. Dass menschenverachtende Worte in tödliche Gewalt umschlagen könnten, hätten mehrere Ereignisse in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten bewiesen, betonte die Bundesanwaltschaft.

MDR (phb,mad,kk)/dpa/epd

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 29. April 2024 | 19:00 Uhr

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