Zwei Männer habe sich der Musik jenseits des Kommerz verschrieben.
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Subkultur 25 Jahre Underground : "Wir tun's nicht fürs Geld"

08. Mai 2024, 18:00 Uhr

Sie machen es für die Musik, für die Szene oder einfach für sich selbst. Ja es gibt sie noch, solche Konzert- und Festivalveranstalter. Mit wenig Geld und der vereinten Kraft des Freundeskreises ziehen sie Events jenseits des Mainstreams auf. Dabei gucken sie auf die schwarze Null oder zahlen aus eigener Tasche drauf. MDR SACHSEN hat einen Oberlausitzer und einen Dresdner getroffen, die auf ein halbes Leben für die Musik jenseits vom Kommerz zurückblicken.

  • Der Vernetzer: Karsten Richter hat mit einer Plattform und dem Fanzine "Down under" Ostsachsens Szene zusammengebracht.
  • Der Hartnäckige: Ullrich Bemmann organisiert in seinem "club|debil" Konzerte, selbst wenn sie sich nicht rechnen.

"Es gibt Konzerte, die muss man einfach machen." Grindcore, Black Metal, Death Metal - das vollste Gerümpel, wie Karsten Richter es beschreibt, war Ende der 1990er Jahre nur in kleinen Clubs zu hören. Was damals Underground war, sei inzwischen Standard.

Der Vernetzer: Karsten Richter

Der große Mann mit Glatze und weißem Vollbart steht im erst kürzlich grundsanierten Vereinsgebäude des Regenbogen e.V. in Bischofswerda. Hier hat der heute 48-Jährige vor 25 Jahren sein erstes Konzert veranstaltet. Damals war in dem Flachbau das Jugendhaus Freizone zu finden. Karsten Richter studierte damals Sozialpädagogik und machte ein Praktikum im Club. Für sein erstes Konzert holte er die Hardcoreband Paranoises aus dem Proberaumkeller und noch eine zweite Band dazu. "Das war für mich alles totales Neuland. Plötzlich kam der Techniker und brachte ganz großes Besteck mit. Es war laut, hat gebrummt. Es war fantastisch!"

Es war laut, hat gebrummt. Es war fantastisch!

Karsten Richter

Eine Plattform und ein Fanzine für Ostsachsens Underground

Seitdem ist Karsten Richter Überzeugungstäter. Er mischt als Veranstalter, Booker oder Netzwerker bei Konzerten und Festivals mit, die alles andere als Mainstream sind. "Es geht für mich in erster Linie darum, dass die Szene lebt", erklärt der Bischofswerdaer seinen Antrieb. Er möchte, dass sich die Leute bei Konzerten zusammenfinden, dass ein Netzwerk von Bands erhalten bleibt, deren Musik sich von der Masse abhebt. Im Jugendhaus Freizone haben noch viele Hardcore-Konzerte stattgefunden. Bischofswerda hatte eine sehr aktive Szene.

Es geht für mich darum, dass die Szene lebt.

Karsten Richter Veranstalter und Organisationstalent

Karsten Richter gründete parallel im damals noch "jungfräulichen Internet" die Plattform "Noisepoint". Über sie bewarb er Underground-Bands ohne Label und Agentur. An die 300 seien es geworden, sagt er. Dazu hob er das kleine Printmagazin "Down under" aus der Taufe. In der aller zwei Monate erscheinenden kostenlosen Ausgabe konnte man die Konzerttermine der regionalen Clubs und Neuigkeiten aus der Szene erfahren. Innerhalb von zehn Jahren brachte es das Fanzine in Trägerschaft des Jugendhauses Neukirch auf 60 Ausgaben.

The Egyptian Gay Lovers beim Abschiedskonzert im East Club in Bischofswerda.
Im "Noisepoint"-Netzwerk war auch die Dresdner Punkband "The Egyptian Gay Lovers", hier bei ihrem Abschiedskonzert im East Club in Bischofswerda auf der Bühne. Bildrechte: Karsten Richter

Konzerte wider dem Kommerz

Das Magazin ist Geschichte. Aber Karsten Richter mischt weiter im Oberlausitzer Underground mit. Heute reizen ihn Musikstile wie Drone, Sludge, Jazz, Hardtek. "Stile, die dem Zeitgeist entsprechen, aber extrem sind." Das sehr experimentelle Festival "Morbus Maximus" habe er zum Beispiel mit dem jetzigen Booker der Dresdner Scheune, Frank Schöne, zwischen 2015 und 2022 im East Club Bischofswerda organisiert. Leider hatte es sich nicht gerechnet, bedauert Karsten Richter. "Wir haben unter Strich wirklich draufgelegt. Aber ich bin trotzdem zufrieden, Sachen gemacht zu haben, die sonst nicht stattgefunden hätten."

Denn Karsten Richter ist in gewisser Weise Idealist: Er will Bands in die Region bringen, an die sich niemand heran traut, weil sie vielleicht für die Provinz zu groß oder unpassend sind. Und er will Bands auf die Club-Bühnen holen, die kommerziell nicht erfolgreich sind. Das Publikum solle sich mit Themen der Subkultur auseinandersetzen, wünscht er sich.

Doublewide spielen beim Desert Wood-Open Air in Sebnitz.
Doublewide aus Dresden spielten vergangenen Herbst beim Desert Wood-Open Air in Sebnitz - ein Festival, das Karsten Richter auf die Beine gestellt hat. Bildrechte: Karsten Richter

"Das bedeutet aber nicht, dass wir aus heiterem Himmel irgendetwas zusammenbuchen, weil es schön ist." Es werde kostendeckend geplant, damit es für niemanden im finanziellen Debakel ende. So stehe hinter dem Wonnemond-Festival, bei dem er aktuell mithilft, zum Beispiel ein Verein, der das finanzielle Risiko trägt. "Da muss alles auch kalkuliert werden."

Wir machen es der Sache wegen. Aber es sollte niemand an einem Konzert kaputtgehen.

Karsten Richter

Im Orga-Team des Sebnitzer Metal-Festivals Wonnemond, das am Himmelfahrtswochenende steigt, habe jeder sein Einkommen aus anderen Berufen. "Wir machen es der Sache wegen. Aber es sollte auch niemand an einem Konzert kaputtgehen." Den Bedarf an Lifemusik in kleinen Orten in Ostsachsen sieht Karsten Richter nach wie vor. Auch wenn es vielleicht etwas weniger Clubs und Konzerte geworden sind. "Ich werde weitermachen, so oder so. Für mich stellt sich nicht die Frage warum, sondern die Frage wie?"

Club debil: Ullrich Bemmann

Wer auf Ausnahmekunst und Extreme steht, findet in der Alten Feuerwache in Dresden-Loschwitz überraschend internationale Vertreter dieser Musik. Ob aus den USA, Malaysia oder Australien - einmal auf Europa-Tour - legen experimentelle Musikprojekte von Ambient bis Industrial auch mal einen Zwischenstopp im kleinen Kellerraum in der Feuerwache ein.

Die Musiker haben nicht gesagt, das hier ist viel zu klein. Sie haben gespielt.

Ullrich Bemmann Veranstalter

Zum Beispiel "Scattered Order" aus Australien: "Das waren drei ältere Herren, die waren schon 60 plus", denkt der Veranstalter Ullrich Bemmann zurück. "Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, wo der Kontakt herkam." Die Leute würden auf ihrem Tourplan gucken und versuchen, noch einen Auftritt einzuschieben, damit es sich lohne und die Wege ein bisschen optimiert werden. Oder zum Beispiel das französische Duo Minimata, das auf einem Festival in Kasan vor Hunderten Leuten gespielt hatte. "Die Musiker haben nicht gesagt, das hier ist viel zu klein. Sie haben gespielt. Ich finde das an der Szene auch gut, dass sie das können."

Von unfassbar still bis unerträglich laut

Ullrich Bemmann ist mit seinem "club|debil" eine Konstante im Industrial Underground von Dresden. Acht bis zehn Mal im Jahr veranstaltet er Konzerte, die sich auf einer klanglichen Bandbreite von unfassbar ruhigen Ambient bis hin zu nicht mehr zu ertragbarem Lärm bewegen. Dass ihn Musiker gezielt anfragen, liegt vielleicht am Respekt, den er ihren Werken zollt. "Was ich nämlich gar nicht leiden kann ist, wenn ich experimentelle Musik mit sehr vielen ruhigen Parts habe und du hörst die ganze Zeit jemanden labern." Da habe er auch schon Leute vor die Tür gestellt.

Ich habe einfach Lust dazu. Für ein imaginäres Gebilde wie der Szene, mache ich es nicht.

Ullrich Bemmann Veranstalter

"Das erste Konzert habe ich im Juni 1999 im Club Müllerbrunnen veranstaltet", erinnert sich der 52-Jährige. Mit dabei war das Ein-Mann-Projekt "Schloss Tegal", ein Amerikaner, der seine neue Heimat in Prag gefunden hat. Auch Ullrich Bemmann hat wie Karsten Richter über Jahre ein kleinformatiges Fanzine namens"club|debil" mit Alben-Reviews und Konzert-Rezensionen herausgegeben. Dessen Ableger sind inzwischen ins Internet abgewandert.

Im Sommer veranstaltet Ullrich Bemmann auch kleine Konzerte auf freier Flur.
Im Sommer veranstaltet Ullrich Bemmann auch kleine Konzerte auf freier Flur -hier mit dem Projekt "Berauschende Verzückung". Bildrechte: Ullrich Bemmann

Andere sammeln teure Autos

"Ich habe einfach Lust, das zu machen. Für ein imaginäres Gebilde wie der Szene, mache ich es nicht", verneint er. Der Dresdner sieht es so: Er unterbreite ein Angebot, habe ein Profil und bediene damit bestimmte Geschmäcker. Dass er am Ende eines Konzerts aus eigener Tasche drauflegen muss, passiert nicht selten. Aber für den Dresdner, der sein Geld als Angestellter in einer Firma verdient, ist es ein Hobby. Vergleichbar mit jemanden, der Tausende Euro in Oldtimer steckt.

Wenn ich da mal ein paar hundert Euro verblase, ist das Pech.

Ullrich Bemmann Konzertveranstalter

"Ich habe eine gewisse wirtschaftliche Unabhängigkeit. Wenn ich da mal ein paar hundert Euro verblase, ist das Geld weg und Pech", meint er dickhäutig. Er habe im Laufe der Jahre beobachtet, dass das Promoten von Konzerten schwerer geworden ist und das Publikum weniger verlässlich. "Man kann auch als großer Veranstalter Werbung machen mit Social Media und allem und am Ende stehst Du mit hundert Leuten da."

Oder eben im kleinen Veranstaltungsraum der Loschwitzer Feuerwache eben mit zehn Mann. Das seien so Phasen, wo Ullrich Bemmann überlegt, das Handtuch zu werfen. Doch es gebe einen Kreis an Leuten, denen die Club-Debil-Konzerte fehlen würden. Dann heißt es: "Mensch Ulli, mach weiter!"

Individuelle Freiheit geht vor

Für die Finanzierung eines Events Fördermittelanträge auszufüllen, kommt für Ullrich Bemmann nicht in Frage. "Da habe ich null Bock darauf, ich möchte nicht in einen Antrag beschreiben, was das alles zu bedeuten hat und warum ich das mache. Das ist meine Freiheit, die ich mir nehme." Also spart er lieber an. Sein nächstes Konzert zieht in eine größere Halle in die Straße E in Dresden. Dort sollen 25 Jahre Club Debil gefeiert werden. "Ein nicht ganz unwesentlicher Teil meines Lebens", so Ullrich Bemmanns Unterstatement.

Eine Frau und ein Mann treten in einem kleinen Veranstaltungsraum auf.
Im Keller der Alten Feuerwache in Loschwitz haben Dalila Kayos gespielt. Im Juni sollen sie eine größere Bühne in der Straße E bekommen. Bildrechte: Club Debil

Fünf Bands sollen an dem Abend auftreten. Mit dabei ist das italienischen Soundprojekt um die Sängerin Dalila Kayos. "Das ist einen Stimmgewalt, machen vergleichen sie mit Björk und das ist gar nicht so falsch", sagt der 52-Jährige. Zur Sicherheit hat er für das Konzert angespart. Natürlich möchte er, dass es funktioniert und sich selber trage. Auch, weil sich dann neuen Türen öffnen und man wieder mal so was in größerer Form machen kann. "Es wäre schon schön, wenn es voll würde."

  • Wonnemond-Freiluftfestival: 9. bis 11. Mai, Skiheim in Sebnitz, Metal u. a. mit EyeHateGod aus New Orleans (Sludge Metal) und Mantar aus Bremen (Sludge, Extreme Metal)

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