Stendal Theater neu denken: Warum Intendant Wolf E. Rahlfs die Altmark verlässt
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12. Juni 2023, 12:14 Uhr
Fünf Jahre hat Wolf E. Rahlfs dem Theater der Altmark in Stendal vorgestanden: als Intendant und als Geschäftsführer. In seiner Amtszeit hebelte zunächst die Corona-Pandemie den Theaterbetrieb komplett aus, dann zog sich die energetische Sanierung des Hauses in Stendal in die Länge. Zur neuen Spielzeit 2023/24 wechselt Rahlfs an die Badischen Landesbühnen Bruchsal und verlässt das Theater der Altmark – trotz aller Miseren geht er nicht unzufrieden.
Mit dem Funktelefon am Ohr lehnt sich Wolf E. Rahlfs aus einem Fenster seines Büros im Theater der Altmark an der Stendaler Karlstraße. Die Haare wie immer zum langen Zopf gebunden, sehr schlank, in Jeans und kariertem Hemd diskutiert er mit dem Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung. Rahlfs schaut auf den modern gestalteten, etwas überholungsbedürftigen Theatervorplatz.
Was hat er diese Ansicht vermisst! Eine Spielzeit lang sollte die energetische Sanierung des Theaters an der Karlstraße dauern, daraus geworden sind gut zwei. Das hat den Intendanten und sein komplettes Ensemble vor völlig neue Herausforderungen gestellt. Um überhaupt spielen zu können, suchten sie sich Ausweichspielstätten. Eine fanden sie beispielsweise in einer kargen Lagerhalle am Stendaler Stadtrand, eine zweite in einem leerstehenden Kaufhaus am nördlichen Rand der Innenstadt.
Stendaler Theater bewies in der Not Kreativität
Solche Experimente in der Not können nerven, können das Publikum zum Zuhausebleiben bewegen oder so ablaufen wie in Stendal. Da bewiesen alle – vom Beleuchter bis zum Regisseur – Durchhaltevermögen und Kreativität. Im leerstehenden Uppstall-Kaufhaus entstanden so Produktionen, geprägt von konzentriertem Spiel auf kleiner Bühne, vor allem aber von höchst intelligentem Einsatz von Audio- und Videosequenzen. Nicht nur die Zuschauer waren verblüfft darüber, was in dem Stendaler Theaterteam steckt, auch das Ensemble selbst.
Nun geht die Zeit der energetischen Sanierung dem Ende entgegen. Die veranschlagten 4,5 Millionen Euro Kosten sind um mehrere hunderttausend Euro gestiegen während der Bauzeit. Unter anderem, weil sich die Bauplaner – ähnlich wie auf dem Flughafen Berlin-Brandenburg – mit der Brandschutzanlage schwertaten.
Zehrende Corona-Jahre am Theater der Altmark
Wenn Wolf E. Rahlfs, der Noch-Intendant und Noch-Geschäftsführer, jetzt telefonierend aus seinem Bürofenster lehnt, genießt er diesen Augenblick, weil er in den gesamten fünf Jahren seiner Stendaler Zeit einfach viel zu selten hier war. Denn von den Bauarbeiten, den Umzügen in andere Quartiere und den damit verbundenen Einschränkungen abgesehen: Da war ja auch noch die Corona-Pandemie.
"Anfangs haben wir gedacht, wir machen zwei, drei Wochen Pause, und dann geht es weiter wie vorher", erinnert sich der 45-jährige Intendant an die Corona-Anfangszeit. "Als klar wurde, dass das alles viel länger dauert, begann es, schwierig zu werden." Die festangestellten der etwa 70 Mitarbeiter kamen mit dem Kurzarbeitergeld gut über die Runden. Die freien Kräfte aber, die über Honorarverträge eingekauft worden waren, bekamen es schnell mit der Existenzangst zu tun. Psychologe – Wolf E. Rahlfs' dritte Aufgabe am Theater der Altmark in dieser Zeit.
Chance: Intendant will Theater neu denken
Nun zieht es ihn in den reichen Südwesten: Rahlfs wird Intendant der Badischen Landesbühnen Bruchsal. Das ist – privat betrachtet – sein größtes Glück. In Bruchsal leben er und seine Frau. In den vergangenen fünf Jahren, in denen Wolf E. Rahlfs seine Arbeit in Stendal hatte, mussten beide um jede gemeinsame Minute kämpfen; die Strecke zwischen Stendal und Bruchsal bewältigt man mit dem Zug in mindestens neun Stunden. Wolf E. Rahlfs kommt also nach Hause.
An den Badischen Landesbühnen aber vollzieht sich gerade ein umfassender Personalwechsel auf den entscheidenden Posten. Sowohl die Intendanz als auch – zum Beispiel – der Chef der Bühnentechnik gehen. An ihre Stelle tritt angeführt von Wolf E. Rahlfs als Intendant ein vergleichsweise junges Team; fünf Leute, von denen noch niemand 50 sei, so Rahlfs. Für ihn ist dieser Neubeginn für alle – Führungsriege, Zuschauer und Trägerverein aus Kommunen und Landkreisen – die Chance, "Theater nochmal neu zu denken".
Theater der Altmark gehört zu Stendal und Sachsen-Anhalt
Ob sich das Publikum bereitwillig von den ausgetretenen Theaterpfaden locken lässt, hin zu möglicherweise moderneren, sicherlich ab und zu unverhofften Inszenierungen, bleibt abzuwarten. Anders als das Theater der Altmark, das als Landesbühne Nord nahezu konkurrenzlos ist im Norden Sachsen-Anhalts, müssen sich die Badischen Landesbühnen gegen große Häuser in Stuttgart, Mannheim, Wiesbaden und sogar Straßburg behaupten.
Wolf E. Rahlfs geht nicht unzufrieden weg aus Stendal. Bei allen Miseren der vergangenen drei Jahre: Die Stendaler stehen zu ihrem Theater. Er hätte oft in der Breiten Straße, der Einkaufsmeile von Stendal, mit Menschen gesprochen. Auch wenn die teilweise schon recht lange nicht mehr im Theater waren, habe er gespürt, dass das Theater der Altmark für die meisten völlig selbstverständlich zur Stadt gehört.
Redaktionelle Bearbeitung: vp
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 10. Juni 2023 | 12:15 Uhr